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Pressespiegel

Zwangsvollstreckungsrecht: Räumung: Gericht muss Selbstmordgefahr des Schuldners prüfen

Veröffentlicht in Immobilienzeitung Nr. 20 vom 23.5.2013
von Nils Röttges
Das Vollstreckungsgericht darf bei einem Antrag auf Vollstreckungsschutz nach
§ 765a ZPO die ihm obliegende Pflicht, eine Gefährdung für Leib und Leben des zur Räumung verpflichteten Schuldners zu prüfen, nicht auf den Gerichtsvollzieher übertragen.
BVerfG, Beschluss vom 21. November 2012, Az. 2 BvR 1858/12

Der Fall

Dem Beschwerdeführer, der seit seiner Kindheit im Haus wohnte, drohte aufgrund eines mit seinen Kindern geschlossenen gerichtlichen Räumungsvergleichs die Zwangsräumung. Er reichte einen Vollstreckungsschutzantrag (§ 765a ZPO) ein mit der Begründung, dass wegen der Räumung Suizidgefahr bei ihm bestehe. Ein vom LG eingeholtes psychiatrisches Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass zwar aktuell keine Selbstmordgefahr bestehe, bei einem bevorstehenden Räumungstermin eine akute suizidale Krise jedoch nicht ausgeschlossen werde könne. Das LG wies die Beschwerde daher mangels gegenwärtiger Suizidgefahr zurück und meinte, dass eine künftige Gefährdung vom Gerichtsvollzieher bewertet werden könne.

Die Folgen

Das mit der Verfassungsbeschwerde gegen den LG-Beschluss befasste BVerfG erließ eine einstweilige Anordnung (§ 32 BVerfGG), durch die die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsvergleich ausgesetzt wurde. Es verwies den Rechtsstreit zurück an das LG: Dieses habe nicht ausreichend geprüft, ob eine Suizidgefahr im Zeitpunkt der Räumung eintreten könnte, und hätte ggf. Maßnahmen zur Abwendung feststellen müssen. Das BVerfG sah einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Die Frage, ob wegen Suizidgefahr die Räumung auszusetzen ist, dürfe nicht auf den Gerichtsvollzieher verlagert werden.

Was ist zu tun?

Die Zahl der Entscheidungen, insbesondere des BGH (zuletzt Beschluss vom 6. Dezember 2012, Az. V ZB 80/12) zum Umgang mit suizidgefährdeten Schuldnern bei Räumung oder Zwangsversteigerung, ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Das erneut mit der Problematik befasste BVerfG schützt die Gerichtsvollzieher davor, eigenverantwortlich entscheiden zu müssen, ob die Suizidgefahr tatsächlich besteht oder vielleicht nur vorgetäuscht wird. Die Vollstreckungsgerichte werden künftig intensiver prüfen müssen, ob in Fällen, in denen der Gutachter keine aktuelle Gefährdungslage sieht, eine solche künftig bei bevorstehendem Räumungs- oder Zwangsversteigerungstermin gegeben sein kann. Der Gerichtsvollzieher wird bereits dann, wenn er die ihm gegenüber ausgesprochene Drohung des Schuldners mit Selbsttötung für ernsthaft hält, die Zwangsvollstreckung bis zu einer Woche einstellen (§ 765a II ZPO) und den Schuldner auf den Weg zum Gericht hinweisen. Der die Räumung betreibende Gläubiger sollte in dem Verfahren auf Räumungsschutz darauf achten, dass dasVollstreckungsgericht auch seine Interessen würdigt, etwa durch Auflagen an den Schuldner(Therapie, Zahlung laufender Miete etc.).


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